Die Norddeutschen und ihre Berge

Die Norddeutschen und ihre Berge

Doch, Norddeutschland hat Berge. Nein, so hoch wie die Alpen sind sie natürlich nicht. Und obwohl der Norden ein Landstrich ist, von dem es heißt, dass man dort schon morgens sehe, wer abends zu Besuch kommt – Berge haben Norddeutschland und seine Menschen geprägt. Wir genießen die Aussicht von ihren Gipfeln, rennen sie rauf und runter, bauen allerlei schöne Gebäude auf ihre Spitzen und nutzen sie wirtschaftlich. Ja, es gibt sogar Berge im Norden, die Geschichte geschrieben haben. Wie der Vogelsberg bei Northeim, an dessen Steilhang Archäologin Petra Lönne eine der spannendsten Ausgrabungsstätten des Nordens untersucht. Sie entdeckte hier erstaunliche Metallgegenstände – Reste einer Schlacht zwischen Römern und Germanen aus dem dritten Jahrhundert nach Christus. Mehrere Tausend Römer, darunter eine als besonders schlagkräftig bekannte Legionärseinheit aus Belgrad, wehrten sich damals mit einem Hagel aus Katapultgeschossen gegen einen germanischen Stamm, der versuchte, den Römern den Weg über eine bewaldete Passhöhe zu versperren. Geschichte atmet auch der Arbeitsplatz von Oliver Gerasch. Er ist der Besitzer eines alten Berggasthauses. Auf 136 Metern Höhe geht der Blick vom Köthnerberg bei Gehrden auf das benachbarte Hannover. Lange thronte hier ein beliebtes Ausflugslokal, 1898 erbaut im Auftrag der Hannoverschen Straßenbahn AG. Heute ist der Gasthof wieder in Betrieb, und Gerasch und seine Crew bereiten sich auf eine stimmungsvolle Hochzeitsfeier vor. Ein Dorado besonderer Art ist der Aschberg in Schleswig-Holstein: Da er weit weg von Lichtquellen liegt und häufig nebelfrei ist, versammeln sich hier einmal im Jahr die Hobbyastronomen aus dem Norden, um in den Himmel zu schauen und die Sterne zu beobachten. Norddeutschland ist auch ein Kletterdorado: Allein der Nordverband des Deutschen Alpenvereins versammelt 55.000 Wander- und Kletterbegeisterte. Der ehemalige Versicherungsangestellte Peter Brunnert aufgewachsen in der flachen Hildesheimer Börde, hat sich früh schon in die Berge verliebt. Nach einem Dolomiten-Urlaub mit den Eltern beschloss er im Alter von 14 Jahren Bergsteiger zu werden. Immer wieder zieht es ihn und seine Kletterfreunde zu den Kletterrevieren in Norddeutschland, vor allem in den Ith zum legendären Kamel-Fels. Immer im Trend ist das wichtigste Gebirge des Nordens, der Harz. Wir begleiten einen Landschaftsmaler, eine Zoologin und die Rettungsmannschaft des DRK bei ihren Touren durchs „Gebirge“. Der Harz verändert sich. Was früher nur im Winter für Skifahrer geöffnet war, wird nun auch für Wanderer im Sommer geöffnet.  

Weiter im Norden können Kletterer ihre Leidenschaft auch ohne Berg ausüben. Der Rostocker Falko Weise-Schmidt hat das Hobby zum Beruf gemacht.  Mit seinen Mitarbeitern steigt er nun tagtäglich auf Kirchtürme, Schlösser, Kraftwerke und Bäume. Gerade müssen sie den Engel auf dem Dach des Schweriner Schlosses inspizieren. Das Gipfelstürmergefühl ist trotzdem das gleiche wie in ihren geliebten Bergen. Besser haben es die Mountainbiker aus Hamburg, die das auf und ab in den Harburger Bergen rund um den höchsten Hamburger Berg, den 116 Meter hohen Hasselbrack genießen. Wirtschaftlich werden die norddeutschen Berge auch genutzt. Ob als Weinberg bei Bad Iburg, als Steinbruch bei Bad Karlshafen, dessen umliegende Steinbrüche schon vor Jahrhunderten so manchen Sandstein für die berühmten Weserrenaissance lieferten oder als Freizeitgelände bei Empelde. Dieser 75 Meter hohe Berg ist jedoch nicht natürlich, sondern Abraum der Kaliindustrie. Auf dem ursprünglich weißen Berg wachsen nun Bäume und Weinreben, und eine Theaterbühne lockt Besucher nach oben. 

„Die Norddeutschen und ihre Berge“ erzählt in innovativer Form kuriose und bildstarke Geschichten rund um bergbegeisterte Nordlichter: Eine Hochzeit im Berggasthaus, eine Kletterpartie in bizarrer Felslandschaft, Sternengucker und Archäologen, Wildhüter und Steinbrecher, Pilger und Industriekletterer erzählen und zeigen, wo der Norden hoch hinaus will.

NDR, 09.01.2022, 20:15

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