Mensch Gysi! Grenzgänger zwischen Ost und West

Mensch Gysi! Grenzgänger zwischen Ost und West

Ein Film von Christian Bock
Bejubelt und bekämpft – kaum ein Politiker polarisiert so sehr wie Gregor Gysi. Er machte eine außergewöhnliche deutsche Polit-Karriere, die in der DDR begann und bis heute andauert.
 
Mit dem Krieg in der Ukraine Anfang 2022 muss sich der einstmals klar Russland-freundliche Gregor Gysi wieder einmal neu erfinden. Er bricht mit vielen Idealen seiner Partei schneller und radikaler als andere. Er bereist ohne Personenschutz die Ukraine. Er sieht die Kriegsschäden mit eigenen Augen und verweigert doch unbegrenzte Waffenlieferungen aus Deutschland.
 
Er ist der letzte „linke“ Politstar mit DDR-Vergangenheit. Und es ist zumindest umstritten, wie weit seine Verstrickungen in das Regime reichten. Damals verteidigte Gysis Mutter ihn wütend gegen vermeintliche Kampagnen, heute seine Schwester Gabriele. Die Beziehung der beiden – sie Schauspielerin, er gelernter Rinderzüchter und studierter Jurist – ist zwar herzlich, aber schwierig: Gregor hat sich von Putin abgewandt und kritisiert den Krieg, seine Schwester hat Verständnis für Putin und lehnt Waffenlieferungen ab. Für die Dokumentation treffen sich die beiden, besuchen das Elternhaus und das Viertel ihrer Kindheit.
 
Er beginnt seine Karriere als Redner mit einem typischen Gysi-Spruch: „Ich spreche eigentlich frei. Ich hab’s mir diesmal aufgeschrieben, damit ich auch danach noch weiß, was ich gesagt habe.“ Damit begann auf dem Berliner Alexanderplatz im November 1989 ein der erstaunlichsten deutschen Karrieren. Ein bis dahin unbekannter ostdeutscher Anwalt begeistert die Massen, wird letzter Vorsitzender der Regierungspartei SED. Und wird seitdem entweder angefeindet oder geliebt, dazwischen ist wenig. „Tomaten, Eier, Spucken, das hab‘ ich alles durch“, sagt er. Heute finden ihn all eher cool, sogar bei einem Finanzberater-Kongress tritt er auf. „Früher hätten die Geld gezahlt, damit ich verschwinde. Heute zahlen sie, damit ich hier rede.“ – Noch so ein typischer Gysi.
 
Das Rampenlicht und die Medien prägen Gysis Leben. Kein Talk, in dem er nicht schon geladen war. „Ich war ja parlamentarisch immer Außenseiter, da habe ich mir meine öffentliche Redezeit eben im Fernsehen geholt“, sagt er. In der Konfrontation läuft er zur Hochform auf und zeigt Entertainer-Qualitäten. „Unglaublich charmant“ findet ihn Schauspielerin Katharina Thalbach. Auch deshalb ist er ein gesamtdeutscher Politstar geworden und keine rein ostdeutsche Identifikationsfigur. Der 1948 in Berlin geborene Sohn eines DDR-Kulturministers ist auch privat eloquent und scharfsinnig, einen Hang zum Narzissmus bescheinigen ihm Weggefährten.
 
Ohne ihn schafft es seine Partei nicht mal mehr in den Bundestag. „Die können sich vergessen, ohne ihn war es das“, meint Fußballmanager Uli Hoeneß, der Gysi trotz seiner politischen Orientierung respektiert. „Der kann genauso in die CDU, die hätten dann viel Spaß mit ihm.“ Doch Gysi ist durch und durch links, für ihn kam ein Parteiwechsel nie infrage. Und die Linke braucht ihn. Das weiß Gysi – aber weiß es auch die Partei?
 
In der „ZDFzeit“-Dokumentation schildern Parteigenossen und Weggefährten, aber auch politische Widersacher ihre Sicht auf den Menschen Gysi. Wolfgang Schäuble berichtet darüber, mit welcher seltsamen Frage Gysi 1991 bei einem Besuch im Innenministerium auf ihn zukam. Und Berlins Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit erklärt, weshalb Gysi 2002 wirklich als Bausenator zurückgetreten ist.
 
„Mensch Gysi!“ ist ein Film über den viel kritisierten komischen Kommunisten, dessen Karriere gleichzeitig eine Geschichte Deutschlands seit 1989 ist.  

Sendetermin: 28.06.2022, 20:15 Uhr, ZDF
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